### Europa in der Trump-Putin-Klemme: Wohin steuert der Kontinent nach der Abkehr der USA?
**Brüssel.** Mit Charme und taktischem Geschick reiste Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach Washington, um die Spannungen zwischen den USA und Europa zu entschärfen. Im Oval Office setzte er auf seine bewährte Taktik: „Wir sind persönlich befreundet“, erklärte Macron mit einem vielsagenden Grinsen und einem Seitenblick auf Trump. Als Freund sei er nach Washington gekommen.
Macron nutzte den Moment, um Trump entschieden zu widersprechen, als dieser behauptete, Europa hätte der Ukraine nur Kredite gewährt. Sanft legte der Franzose seine Hand auf das Handgelenk des US-Präsidenten und korrigierte ihn: „Nein, um ehrlich zu sein, wir haben alles bezahlt.“ 60 Prozent aller Hilfen seien von Europa gekommen. Für einen Moment wirkte Trump regelrecht verblüfft.
Doch Macron ist nicht der Einzige mit einem Ticket nach Washington. In diesen Tagen geben sich europäische Spitzenpolitiker die Klinke in die Hand. Binnen weniger Wochen hat Trump die jahrzehntelange Allianz zwischen den USA und Europa ins Wanken gebracht. Der Ukraine droht nun, die essenzielle US-Hilfe im Kampf ums Überleben zu verlieren. Trump dringt auf einen schnellen Deal mit Putin – mit empfindlichen Zugeständnissen aus Kiew.
Estlands Außenminister Margus Tsahkna warnt, dass Putin nicht nur ukrainisches Territorium erobern, sondern die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur neu ordnen will. „Putin möchte die Präsenz der Nato in der Region beenden, aber die ist für unsere Sicherheit von grundlegender Bedeutung“, so Tsahkna.
Die Verhandlungen mit Putin betreffen direkt Europas Sicherheit. Der Kremlchef will die Präsenz der Nato in der Region beenden, was für die europäische Sicherheit von grundlegender Bedeutung ist. Tsahkna befürchtet, dass Trump den russischen Machthaber aus der Isolation des Westens befreit und rehabilitiert. „Trump scheint die Verbrechen, die Putin in der Ukraine begangen hat, nicht sehr ernst zu nehmen“, sagte Tsahkna.
Gesine Weber, Expertin für EU-Verteidigungspolitik, sagt: „Europa spielt nicht in einer Liga mit Großmächten wie den USA, China und Russland, sondern kann eher eine einflussreiche Mittelmacht sein wie Saudi-Arabien, Indien oder die Türkei.“ Das bedeute konkret: Europa sei nicht unbedingt der Stärkste von allen, aber habe kritische Kapazitäten und auch ein kritisches politisches Gewicht, das für andere Partner so wichtig sei, dass sie dann europäische Interessen berücksichtigten.
Doch es geht um weit mehr als politische Machtspiele. Ob US-Truppen, amerikanische Waffensysteme und der US-Nuklearschirm Europas Sicherheit weiterhin garantieren, steht auf der Kippe. Trump hat Zweifel gesät, ob die USA ihre Nato-Verbündeten im Ernstfall noch verteidigen würden. „Das Fundament der europäischen Sicherheit bröckelt bereits“, warnt Weber. Eine Folge von Trumps Annäherung an Russland: Die USA überdenken bereits ihre Truppenstationierung, ein teilweiser Rückzug könnte bevorstehen. Die Frage ist nun: Kann und will Europa seine Abschreckung selbst in die Hand nehmen?
Hinter den Kulissen der EU-Institutionen werden bereits Szenarien durchgespielt, ob Europa eine eigenständige Sicherheitspolitik überhaupt umsetzen kann. Als bestes Szenario wird in Brüssel noch darauf gehofft, dass die USA nur einen Teil der Bodentruppen abziehen, der nukleare Schutzschirm aber bleibt. Das schlimmste Szenario? Ein schutzloses Europa gegenüber einer hochgerüsteten Nuklearmacht Russland, das von Moskau noch dazu nuklear erpresst werden könnte. Und niemand schließt dieses Szenario mehr kategorisch aus.
Die Aussicht, in einigen Monaten weitgehend ohne amerikanischen Rückhalt dazustehen, ist keine bloße Spekulation. „Man kann nicht davon ausgehen, dass die Präsenz der USA ewig andauern wird“, drohte US-Verteidigungsminister Pete Hegseth am Rande seines Europabesuchs unmissverständlich.
Die Konsequenzen wären gewaltig – und teuer: Wenn sich Europa ohne Unterstützung der USA gegen Russland verteidigen muss, kostet das Investitionen von rund 250 Milliarden Euro jährlich. 50 zusätzliche Brigaden mit insgesamt 300.000 Soldaten seien nötig, ebenso wie 1400 neue Kampfpanzer und 2000 Schützenpanzer. „Ökonomisch ist das zur Wirtschaftskraft der EU relativ überschaubar, die zusätzlichen Kosten liegen nur bei circa 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU“, sagt Guntram Wolff vom IfW Kiel. Weit weniger als etwa zur Krisenbewältigung während der Covid-Pandemie.
Die Autoren der Studie schlagen eine Erhöhung der europäischen Verteidigungsausgaben von derzeit 2 Prozent auf 3,5 bis 4 Prozent der Wirtschaftskraft jährlich vor. So wäre eine Gesamtsumme von zusätzlichen 250 Milliarden Euro pro Jahr möglich. Kaum realisierbar scheint dagegen, 300.000 zusätzliche Soldaten zu rekrutieren und auszubilden.
Die Europäische Union zeigt sich perplex über das Tempo und den Alleingang, mit dem Donald Trump die Sicherheitsarchitektur Europas umgestaltet – ohne Rücksprache mit den Betroffenen. Diplomaten rätseln, ob die USA überhaupt eine durchdachte Strategie für die Ukraine – geschweige denn für Europa – verfolgen. Nervös beäugt man die widersprüchlichen Signale aus Washington. Niemand weiß, worauf man sich wirklich verlassen kann. Hochrangige Diplomaten beklagen, dass die Botschaften der handverlesenen Minister und Sonderberater Trumps chaotisch und oft unkoordiniert wirken. Einige Akteure bezeichnet man hinter vorgehaltener Hand gar als „inkompetent“.
Unklar bleibt auch, auf wessen Rat Trump am Ende tatsächlich hört. Die Europäer mussten diese Lektion bereits während seiner ersten Amtszeit schmerzhaft lernen: Vereinbarungen mit seinen Beratern hatten oft eine kurze Halbwertszeit, weil der Präsident sie später einfach verwarf.
Deshalb wollen die Europäer direkt mit dem neuen Dealmaker im Weißen Haus verhandeln – doch wer schmiedet für Europa die Deals? Frankreichs Präsident Emmanuel Macron würde diese Rolle nur zu gern übernehmen. Als entschiedener Befürworter einer europäischen strategischen Autonomie dringt er auf eine stärkere Rolle der Europäer in Sicherheitsfragen. In seinem Eifer berief er kurzfristig zwei Gipfeltreffen – eines für die großen, eines für die kleineren EU-Staaten – ein, um die Regierungschefs hinter sich zu versammeln. Doch ein Mandat für Verhandlungen mit dem US-Präsidenten bekam er nicht.
Stattdessen lösten die beiden Treffen Frust und Streit aus und endeten ohne ein handfestes Ergebnis in einem Desaster. Griechenlands Premier Kyriakos Mitsotakis zeigte sich erzürnt, weil er sich beim ersten Treffen der „großen“ Länder übergangen sah. Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni wiederum war auf Macron wütend, da sie sich selbst als die natürliche Ansprechpartnerin Trumps sieht. „Er hat ihr die Show gestohlen“, heißt es in EU-Kreisen.
Macron ist den Gegenwind gewohnt. Immer wieder wurde er für seine Forderung kritisiert, Europa müsse unabhängiger von den USA werden. Doch nun sieht er sich bestätigt. „Heute sind sich die Europäer einig, dass Macron recht hatte. Macron sieht sich jetzt als legitimer Verhandlungspartner gegenüber Trump“, so GMF-Expertin Weber. Sie verweist darauf, dass Trump Macron bereits aus seiner ersten Amtszeit kenne. „Und Trump liebt einen Politikstil, in dem Männer unter sich verhandeln“, fügt sie hinzu.
Nun wagen die EU-Staaten einen neuen Anlauf: Bei einem offiziellen Sondergipfel am 6. März will EU-Ratspräsident Antonio Costa eine gemeinsame Linie und handfeste Ergebnisse für den Umgang mit den US-Friedensverhandlungen und Europas Rolle beschließen. Erste Vorbereitungen laufen bereits: Am Mittwoch setzte Costa eine kurzfristige Videokonferenz mit allen EU-Staaten an, damit Macron vertrauliche Einblicke in sein Gespräch mit Trump geben kann. Ein Vorschlag steht im Raum: Europa könnte einen Sondergesandten für die Ukraine ernennen, der stellvertretend mit Trumps Team verhandelt. Auch Vertreter außerhalb der EU, wie der britische Premier Keir Starmer, sollen ins Boot geholt werden.
Starmer wird an diesem Donnerstag Trump treffen und will ihn von umfangreichen US-Schutzgarantien für die Ukraine überzeugen. Denn für die Europäer steht fest: Ohne militärische Unterstützung der USA droht der Ukraine womöglich ein erneuter Angriff Russlands. Die Frage bleibt nur, ob Trump sich überzeugen lässt.
Die Zukunft Europas hängt am seidenen Faden, während der Kontinent versucht, seine Sicherheitsstrategie neu zu definieren und sich in einer Welt zu behaupten, in der die USA, China und Russland die Spielregeln diktieren.
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